Warum Eine Immobilie eine Turing-Maschine Werden Muss

Activity-Based Working und COVID-Präventionsmaßnahmen haben gezeigt, wie schnell Management und Betrieb eines Gebäudes auf geänderte Anforderungen reagieren müssen. Das geht nur, indem das Gebäude 'umprogrammiert' werden kann.

by Marc Gille

Die Turing-Maschine und sein Erfinder

Der ausserhalb der Informatik vielleicht nicht ganz so bekannte Begriff der Turing-Maschine ist sicher eine Wochenendlektüre wert. Allein schon wegen der mehr als tragischen Geschichte von deren Erfinder Alan Turing, der nachdem er als brillianter Mathematiker die theoretischen Grundlagen der Informatik gelegt hatte, wesentlich zur Entschlüsselung des Enigma-Systems der deutschen U-Boot-Flotte und damit dem Erfolg der Invasion in der Normandie und letztlich dem Ausgang des 2. Weltkriegs beitrug und schließlich - strafrechtlich verfolgt und körperlich bestraft wegen seiner Homosexualität - depressiv wurde und Selbstmord beging. Die Begnadigung und Entschuldigung sollte über 50 Jahre dauern ...

Eine Turing-Maschine ist nun das theoretische Modell eines Computers, erfunden in 1936 noch bevor es denselben technisch gab. Das Wesentliche: die Maschine kann mit der Beschreibung eines Problems - einem Programm - gefüttert werden und dieses dann lösen. Die Anekdote will es, dass Turings Publikation, 'On Computable Numbers, with an Application to the Entscheidungsproblem' sowie die mathematische Fachliteratur hierzu den entsprechenden Begriff 'Entscheidungsproblem' nie anglifiziert hat.

Eine der ersten technischen Manifestation dieser Maschine - neben der ENIAC und Konrad Zuses Z3 - wurde dann tatsächlich auch unter Turings Leitung gebaut: die sogenannten 'Bomben', die im britischen Kryptographie-Zentrum Bletchley Park bei der Enigma-Entschlüsselung halfen. Der Film hierzu 'The Imitation Game' mit Benedict Cumberbatch und Keira Kneightley ist sehenswert, überzeichnet aber Turing als Asperger-Autisten, der er nach allem was man weiss nicht war.

Hardware, Software und Betriebssysteme

Turings theoretische Ansatz wurde dann auch nach den 'Bomben' von Bletchley Park mit der Entwicklung des Mainframes fortgesetzt - der damalige Vorstandsvorsitzende Thomas J. Watson des Herstellers IBM sagte dazu bekanntlich: „Ich denke, es gibt weltweit einen Markt für vielleicht fünf Computer.“

Dann kamen der PC und schließlich Mobiltelefon und Pad - mit immer höherer Leistungsfähigkeit. Also von Watsons fünf prognostizierten Computern auf über fünf Milliarden Smartphones.

Gemeinsam ist den technischen Umsetzungen: es gibt ein Stück Hardware mit durchaus breitbandigen Komponenten:

  • Interne Steuerung der Recheneinheit und der Speichermedien

  • Eingabegeräten wie Tastatur, Maus, Touchpad, Brille oder Uhr

  • Ausgabegeräten wie Bildschirm, VR-Brille oder Soundsystem

  • Weiteren Spielarten von Schnittstellen wie angebundener Sensorik - sei es 'kabelgebunden' oder über Funk (z.B. Bluetooth Low Energy)

Diese Einheiten werden von Programmen gesteuert um für den Benutzer relevante Funktionen umzusetzen.

Hierbei wurde schnell klar: auch wenn die Hardware über die Zeit immer an Aktualität verliert und ausgetauscht werden muss, ändern sich Nutzeranforderungen und damit Software viel schneller.

Mehr noch: der Teil der Software, der allen Programmen gemeinsam ist und vielleicht auch leicht längeren Versionszyklen folgt wurde schnell in ein spezielles Programm ausgelagert: das Betriebssystem. Das liefert nicht nur die softwaretechnischen Basis der Steuerung der Hardware und Basisdienste wie Nutzerverwaltung und Sicherheit, sondern kommt häufig auch mit einigen - ggf. getrennt lizensierten - häufig genutzten Dienstprogrammen wie Textverarbeitung, Tabellenkalkulation bis hin zu Bild- und Videobearbeitungsprogrammen.

Die Turing-Immobilie - Das Gebäude als Computer

Das echte Zusammenwachsen aller Digitalisierungsaspekte eines Gebäudes haben erst die Technologien der letzten Jahre: Software-as-a-Service, das Internet of Things, künstliche Intelligenz, Mobil- und Cloudtechnologien ermöglicht.

Heute ist das Gebäude tatsächlich verbunden mit heterogenen Hardwarekomponenten, der Nutzer verfügt über hinreichende Eingabegeräte - das mobile Endgerät und die zentralen Funktionen können leicht in Cloud-Umgebungen betrieben werden.

Und sicher besteht mehr denn je die Anforderungen, neue Funktionen schnell und flexibel umzusetzen - in Zyklen die weit kürzer sind als die baulicher Veränderungen oder Umstellungen in der klassischen Gebäudetechnik.

Die Analogie zum Computer und damit auch zur Turing-Maschine liegt also nah. Was sind also die 'Programme' die für die Immobilie gebraucht werden? Und gibt es auch ein Betriebssystem?

Neue Programme für das Gebäude - Coffice, Hoffice und Poffice

Co-Working und Activity-Based Work

Auch wenn in vielen Köpfen der feste Arbeitsplatz noch ebenso fest verankert ist, sind flexible Teams über Unternehmensstandorte, Activity-based Work oder 'virtuelle Unternehmensstandorte' über Co-Working längst etablierte Ansätze.

Hierzu können in digitalisierten Gebäuden Voraussetzungen geschaffen werden: Arbeitsplatz-, Besprechungsraum und Bürobuchungen, Zugangskontrolle, Bedienung von Audio und Video-Systemen können so aufgesetzt werden, dass sie auch von neuen , temporären oder Gast-Nutzern am Standort leicht und ohne komplexe Onboarding-Prozesse bedient werden können.

Aus Betreibersicht sind das keineswegs Modelle, die nur WeWork und Co. vorbehalten sind; selbst die altehrwürdigen Sparkassen denken über Vermietung von Flächen am Wochenende oder in den Abendstunden nach.

Für die Turing-Immobilie wäre das das Programm ‘COffice - Co-working Office’.

Home Office und Hospitality

Ob vor, mit oder nach COVID: Ein Mix aus Home Office und vor Ort-Anwesenheit im Büro werden unsere Zukunft sein. Der Zukunftsforscher Matthias Horx hat hier die Mechanismen und Treiber erläutert.

Temporäre Arbeit an verschiedenen Orten - beim eigenen Unternehmen oder beim Kunden - bedingt auch die Notwendigkeit von Übernachtungsmöglichkeiten. Die können klassisch durch Hotels, etwas moderner über AirBnB und Co. und schließlich auch über Serviced Apartments gelösten werden, die in oder nahe am jeweiligen Standort vorgehalten werden. Sind diese bereits in das System eingebunden (Wer darf buchen? Wie wird das bezahlt und an wen? Wie kann der Betrieb nutzungsbasiert organisiert werden?).

Und wenn wir schon da sind: In der Stadtimmobilie der Zukunft leben wir ja gar nicht zwingend in großer Distanz vom Office. Vielleicht sind ja beide Orte auch Teil desselben - vielleicht in die Höhe gezogenen - Stadtquartiers. Dieser Mix ist eigentlich bei den meisten aktuellen Quartiersprojekten Programm z.B. beim Quartier Heidestraße - Mix it like Berlin. Neben den notwendigen baulichen Aspekten müssen diese Mix-ins digital unterstützt werden.

Für die Turing-Immobilie wäre das das Programm ‘HOffice - HomeOffice, aber auch: Hospitality and Office’.

COVID-Prävention

COVID-Maßnahmen im Arbeitsumfeld bringen es auf den Punkt: Die Pandemie ist noch lange nicht vorbei. Das trotz Homeoffice notwendige Arbeitsleben mit Anwesenheit an den Standorten oder bei Partnern und Kunden und die damit verbundene Infektionsgefahr ist manifest. Jedwede Maßnahmen müssen schnell ausgerollt und dann einfach und nachhaltig betrieben werden können.

2 Meter-Büro, Tracing über Buchungen, anwesenheits- oder buchungsgetriebene Desinfektionsmaßnahmen, Aerosol-Kontrolle über CO2-Messungen sind unmittelbare Mechanismen, die mit vertretbarem Zeit- und Budgetaufwand umsetzbar sind.

Für die Turing-Immobilie wäre das das Programm ‘POffice - Preventive Office’.

Programmierung, Installation und Inbetriebnahme

COffice, HOffice und POffice - und was immer da (schnell) kommen mag - müssen schnell installiert und in Betrieb genommen und geändert werden können. Und das vielleicht häufig.

Aus Immobiliensicht sind dies Tage bis Wochen und nicht Monate bis Jahre. Man weiß aber, dass selbst mit agiler Softwareentwicklung die Zyklen kompletter Neuentwicklung von Software auch heute noch eher Monate bis Jahre sind. Eben insbesondere wenn man sich in unserem Bild der Turing-Immobilie jeweils das Betriebssystem neu bauen muss oder müsste.

Und sicher will man diese 'Programme' nicht klassisch in einer Computer-Programmiersprache wie C++ oder Java umsetzen, sondern an den Begriffen des Problemumfelds und den Kompetenzen des Fachpersonals orientieren. Man möchte also konfigurieren, statt zu programmieren. Geht bei Turing locker - der hätte die Konfigurationsmöglichkeiten für das Gebäude einfach Eingabealphabet Σ genannt ...

Die Digitalisierungsplattform - Das Betriebssystem des Gebäudes

Selbst wenn man nur die unmittelbaren Funktionen eines Computerbetriebssystems

  • Zentrales Login und Nutzermanagement

  • Einfacher, standardisierter Zugriff auf ggf. zusätzlich angeschaffte Hardware

  • Einheitliche Nutzeroberfläche und Bedienmodelle

  • Adaption neuer, grundsätzlicher Anforderungen

  • Sicherheit und Datenschutz

betrachtet, wird klar: das brauche ich im Gebäude auch. Und bei der Hardwareanbindung eben die volle Bandbreite von Integration der Gebäudetechnik, über Zugangskontroll- und Transportelemente bis hin zu allem und jedem an IoT-Sensorik und Aktorik.

Allerdings schaffen es die häufig ins Feld geführten IoT-Plattformen in der Analogie allenfalls auf Ebene der Gerätetreiber. Und auch das was ich von den großen Cloudanbietern in Sachen Big Data, AI, Stream Processing bekomme, sind in unserem Bild eher der Computer-Hardware zuzuordnen.

Das eigentliche Betriebssystem der Turing-Immobilie ist eine Digitalisierungsplattform wie Thing-it. Diese liefert

  • den breitesten Basissatz an 'Gerätetreibern' in der Industrie mit Konnektivität nicht nur auf moderne Funkprotokolle wie EnOcean, sondern auch Konnektoren zu Zugangskontrolle, Aufzugsysteme

  • BIM-Datenmanagement

  • Verwaltung von technischen Assets

  • Navigation und Standortbestimmung

  • Nutzer-, Rollen und Rechtemanagement

  • Buchungsfunktionen auf beliebige Flächen- und Assets

  • Zahlungswesen und Store-Verwaltung

Ebenso - und auch das passt in unsere Analogie - ein Portfolio an Partnerunternehmen, die die Turing-Immobilie einrichten und betreiben.

Eine Stelle wo unser Vergleich mindestens hinkt:

Der Computer wird normalerweise vom Nutzer selbst oder dessen Arbeitgeber beschafft und besessen. In der Immobilienwelt gehört die Immobilie dem Investor - der aber auch selbst als Betreiber an der Digitalisierung wertschöpft - wie ich in meinem letzten Expertenblog ausgeführt habe. Daher werden hier auch neue nutzungsbasierte Verrechnungsmechanismen entstehen womit wir zwar im ökonomischen Modell die Analogie zum Computer verlassen: eine Turing-Maschine wird die digitalisierte Immobilie dennoch bleiben - und sie wird eine Digitalisierungsplattform wie Thing-it als Betriebssystem haben.

Der verwendete Begriff COffice wurde einem Vortrag der Zukunftsforscherin Oona Horx-Strathern entlehnt.

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